
»Ich bin in den Gastrostrudel hineingezogen worden und total im Nachtleben versackt.«
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- 28/03/2017
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- By : erzählmal.
Ibrahim Yayla ist 32 Jahre alt, arbeitet seit 2015 als Barkeeper in der Stadtpost in Tübingen und wurde dort vor kurzem zum Betriebsleiter befördert. Sein großer Traum ist es, eine eigene Kneipe in der Tübinger Altstadt zu haben.
erzählmal: Wie bist du nach Tübingen gekommen?
Ibo: 2008 kam ich nach Tübingen um Deutsch und Geschichte auf Lehramt zu studieren. Das habe ich dann auch bis zum Hauptstudium durchgezogen. Bald kam ich aber zu der Erkenntnis, dass man eben doch Geld verdienen muss, vor allem bei den tollen Mietpreisen hier. Ich habe dann 2009 angefangen im Bierkeller zu arbeiten und bin allmählich in den Gastrostrudel hineingezogen worden und komplett im Nachtleben versackt. 2012 habe ich dann zusätzlich im Last Resort angefangen. Da blieb dann nicht mehr viel Zeit fürs Studium. So kam’s, dass ich jetzt nur noch Gastro mache und nicht mehr studiere. Irgendwann wird das schwierig, wenn man immer erst um drei oder vier Uhr nachts nach Hause kommt.
erzählmal: Wo arbeitest du zurzeit?
Ibo: Inzwischen arbeite ich hauptsächlich in der Stadtpost und ab und zu noch im Last Resort. In der Stadtpost arbeite ich seit 2015 und wurde vor kurzem zum Betriebsleiter befördert. Den Job beim Last Resort werde ich daher auch bald kicken.
»Was ich mir oft sage ist: man soll nicht das machen, was man tun will, sondern lieber das tun, was man gut kann.«
erzählmal: Denkst du manchmal, du hättest doch das Studium beenden sollen?
Ibo: Nee, gar nicht. Das klingt vielleicht etwas arrogant, aber ich bin gut bei dem was ich hier mache. Meine Eltern werden wahrscheinlich dennoch am Boden zerstört sein, wenn ich ihnen sage, dass ich das Studium endgültig hinter mir lasse, aber ich bereue das nicht. Ich habe es Ihnen noch nicht erzählt und bin auch noch eingeschrieben. Was ich mir oft sage ist: man soll nicht das machen, was man tun will, sondern lieber das tun, was man gut kann.
erzählmal: Kannst du dir vorstellen eine eigene Kneipe zu führen?
Ibo: Das ist auf jeden Fall mein längerfristiges Ziel. Es wäre toll eine eigene Kneipe hier in Tübingen zu haben. Mein Chef in der Stadtpost, Kutay Nergues wird mich sicher auch so gut es geht unterstützen, wenn es so weit ist. Ich habe meine Stammleute und teilweise auch „Fans“ aus anderen Läden, in denen ich gearbeitet habe. Die sind zum Beispiel mit mir in die Stadtpost gewechselt. Wären da nicht die bürokratischen und finanziellen Hürden in Tübingen, könnte ich direkt mit einer eigenen Kneipe durchstarten.
erzählmal: Was ist an der Gastro so anziehend?
Ibo: Ist man einmal richtig drin, kommt man nie wieder raus. Kaum einer verlässt die Gastro komplett. Ich liebe es, sonst würde ich es nicht machen. Aber die Gastro hat auch ihre Schattenseiten.
erzählmal: Was machst du außer dem Arbeiten?
Ibo: Vormittags schlafe ich meistens. Sonst ist es recht unspektakulär, meistens zocke ich vor dem Rechner. Ich war schon immer ein Nachtmensch, mein Rhythmus hat sich durch die Gastro eigentlich nicht so verändert.
»Keine Druckbetankung, Massenabfertigung – ‚Ich schieß mich ab‘ mag ich überhaupt nicht.«
erzählmal: Wie sollte deine eigene Kneipe sein?
Ibo: Ich lege sehr viel Wert auf gute Qualität – vor allem bei Bier. Ich bin passionierter Biertrinker. Eine große Auswahl guter Fassbiere muss es sein. Ich weiß, dass man sich als Bar durch ein Alleinstellungsmerkmal profilieren muss. Allgemein würde ich meine Bar gemütlicher halten. Keine Druckbetankung, Massenabfertigung. Kneipen mit dem Motto »Ich schieß mich ab« mag ich überhaupt nicht.
Außerdem werden bei mir Heißgetränke definitiv teurer sein! Die Zubereitung dauert lange und bindet das Personal an die Maschinen. In der Zeit könnte man viel mehr verkaufen. Mein Chef lacht mich immer aus, denn Gäste denken nicht aus dieser Perspektive. Wenn ich in der Küche manchmal vor mich her schimpfe, dann meint er: »Hey, die meinen das nicht böse, die wollen doch nur ‘ne heiße Schoki trinken!«
erzählmal: Kommt das „Abschießen“ in der Stadtpost oft vor?
Ibo: Am Wochenende passiert sowas tatsächlich sehr oft hier, etwa einmal im Monat. Dann muss ich Leute abweisen und sagen: »Ihr werdet hier nicht glücklich, ich werde nicht glücklich mit euch, und die anderen Gäste werden auch nicht glücklich. Wir sollten also getrennte Wege gehen.« Kann auch sein, dass die Leute aus anderen Kneipen oder Clubs in der Nacht bereits rausgeworfen wurden und dann herkommen, um noch ein, zwei Bier zu trinken. Zum Glück sind die meisten Kneipen und Clubs hier in Tübingen über WhatsApp vernetzt, sodass Schlägereien, betrunkene Pöbler oder auch Diebstähle direkt weitergegeben werden.
erzählmal: Wann ist der Moment erreicht, dass du jemanden rausschmeißt?
Ibo: Der Moment ist da, wenn ich sehe, dass sich andere Gäste belästigt fühlen. Da ist es mir dann gleich, ob sie noch vier oder fünf Halbe gekauft hätten. Wenn der Nachbartisch belästigt oder bedrängt wird, greife ich ein. Aber eine Vorwarnung gebe ich meistens schon… Betrunkene zu bedienen ist wie Babysitten, sie sind unberechenbar, man muss sie ständig beruhigen, und ihren Komfort wissen sie nicht zu schätzen. Aber letztlich können wir nicht ohne sie und sie nicht ohne uns.
»Irgendwie ist das Ganze dann völlig eskaliert.«
erzählmal: Wen musstest du schon rausschmeißen?
Ibo: Einmal musste ich ein Mädchen rauswerfen. Sie hatte bei uns früher schon mal ein Bild mit Bilderrahmen geklaut, was damals sogar eine Polizeiaktion zur Folge hatte. Auf den Videoaufnahmen vom Last Resort haben wir sie mit dem Bild unter dem Arm sehen können. Dieses Mädchen war irgendwann wieder in der Stadtpost und ich sah sie ständig dabei, wie sie hinter den Tresen griff um sich irgendetwas zu holen. Der Tresen ist für mich eine heilige Grenze – wenn man was braucht, meldet man sich. Sie sagte zwar, sie hätte sich nur Strohhalme geholt, aber nachdem sie weg war fehlte eine Weinflasche. Ich kann es ihr aber leider nicht nachweisen.
erzählmal: Was war das Krasseste, das du bei deiner Arbeit erlebt hast?
Ibo: Das war 2014 im Last Resort während der Tübinger Nacht. Ganz zum Schluss fiel mir ein Typ auf, der in einer Ecke hing als der Laden eigentlich schon dicht war. Irgendwie ist das Ganze dann völlig eskaliert. Er hat sich beim Rausgehen auf der Treppe nochmal umgedreht und hat sich von oben herab mit der Faust voraus auf meinen Kollegen gestürzt. Er hat ihm volle Kanne mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Als er abhauen wollte habe ich ihn die Treppen heruntergezogen, ihn am Boden fixiert und mein Kollege rief die Polizei. Irgendwie haben die in dieser Nacht besonders lange gebraucht. Zumindest fühlte es sich so an, als ich ihn da am Boden halten musste.
»Es ist cool, von Menschen umgeben zu sein, die ähnlich ticken wie man selbst.«
erzählmal: Was hält dich in der Gastro?
Ibo: Ach, das sind letztlich trotzdem die Menschen. Es gibt tatsächlich Leute bei denen ich mir denke: »Hey, danke, dass du heute da bist!«. Diese Momente sind wirklich schön. Einmal habe ich in meinen Geburtstag reingearbeitet und es war ein Stammgast im Last Resort, den ich eigentlich noch gar nicht so lange kannte. Er hatte wohl irgendwie von meinem Geburtstag erfahren und extra einen Kuchen für mich gebacken. Außerdem sind die Kollegen meistens wirklich spitze und werden zu guten Freunden. Es ist cool, von Menschen umgeben zu sein, die ähnlich ticken wie man selbst, den selben Rhythmus haben und dann auch noch von Kollegen zu Vertrauten werden. Ohne den Neid und den Konkurrenzgedanken, wie man ihn in anderen Branchen hat. Meine Freundin habe ich ursprünglich auch als Kollegin im Bierkeller kennengelernt.
erzählmal: Trinkt man mehr, wenn man Barkeeper ist?
Ibo: Exzessiv auf gar keinen Fall. Ich muss ja auch noch grade stehen und die Drinks machen können. Wenn dann nach der Schicht, oder wenn die richtigen Leute da sind, gegen Ende der Schicht. Ich denke das ist Typsache. Da ich ja aber eher so der Biertrinker bin, haue ich mich selten komplett weg.
erzählmal: Was sind deine Pläne für die nächsten Jahre?
Ibo: Ich versuche ein bisschen Kohle zur Seite zu legen, damit ich, wenn eine Kneipe in Tübingen frei werden sollte, startbereit bin. Ich denke, das wird sicher noch fünf bis zehn Jahre dauern. Am liebsten hätte ich natürlich einen Laden in der Altstadt.