
»Also packte ich meine Sachen und ging mit ihm.«
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- 22/02/2017
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- By : erzählmal.
Maria Diego ist 46 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Saragossa, Spanien. Auf einer Ersamus-Party lernte sie dort vor knapp 20 Jahren einen Deutschen kennen, für den sie einige Monate später ihre Heimat verlassen würde. Heute unterrichtet sie am Fachsprachenzentrum der Uni Tübingen.
erzählmal.: Woher kommst du?
Maria: Ich komme aus Spanien. Geboren wurde ich in Catalunya (Katalonien), meine Familie und ich sind danach aber ins Landesinnere nach Saragossa umgezogen.
erzählmal.: Was führt dich nach Deutschland?
Maria: Die Liebe. Mein Mann hat ein Erasmus-Semester in Saragossa verbracht. Ich hatte eine Freundin aus Österreich, die mit mir einige Unikurse belegte. Sie ging in Saragossa außerdem in einen Spanischkurs, in den auch Sven ging, mein Mann. Eines Abends organisierte sie ein Erasmus-Fest bei sich und hat uns beide unabhängig voneinander dazu eingeladen. Dort lernten wir uns kennen.
»Am Ende merkte ich, dass ich die ganze Zeit nach dem Falschen gesucht hatte.«
erzählmal.: War es Liebe auf den ersten Blick?
Maria: Nein, die Annäherung war eher eine komplizierte Geschichte. Es war so, dass er mir auf der Party schon aufgefallen war und mir gefallen hat. Er kam mit einem Freund herüber und beide stellten sich vor: Sven und Sebastian. Ich dachte von da an, er hieße Sebastian und habe mich nach dem Fest auch immer nach einem Sebastian umgehört. Ich fragte alle Erasmus-Leute, die ich kannte, ob sie mir die Telefonnummer von Sebastian besorgen könnten. Und am Ende habe ich ihn dann auch gefunden – merkte aber, dass ich die ganze Zeit nach dem Falschen gesucht hatte. Das muss man sich so vorstellen:
»Wer bist DU denn?«
»Na, Sebastian!«
»Aber… dich suche ich nicht!«
Dann kam tatsächlich der Andere von der Party dazu und ich erkannte ihn wieder: »Jaa, dich suche ich!« Wir quatschten dann miteinander, verabredeten uns aber nicht. Kurze Zeit darauf trafen wir uns zufällig noch einmal in Valencia auf dem Fest Fallas. Das war wirklich ein großer Zufall, denn das Fest ist riesig! Erst da haben wir Nummern ausgetauscht und angefangen, uns öfter zu sehen. Das war vor 18 Jahren.
»Wir entschieden also: Das war‘s, leb wohl!«
erzählmal.: Habt ihr euch ernsthaft aufeinander eingelassen, obwohl ihr wusstet, dass das Semester irgendwann enden würde?
Maria: Jein. Es entwickelte sich zwar eine ernste Beziehung. Aber im Juli musste er wieder zurück nach Deutschland gehen. Wir entschieden also: Das war‘s, leb wohl! Aber nach ein paar Wochen haben wir gemerkt, dass es nicht geht. Wir kamen beide nicht gut damit zurecht. Er hat versucht, nochmal mit mir Kontakt aufzunehmen. Unglücklicherweise war ich gerade an jenem Wochenende mit meiner Familie auf einem Berg, um zu zelten. Damals war man nicht jederzeit und überall über das Internet erreichbar. Er versuchte mehrmals, mich bei mir Zuhause zu erreichen und hinterließ viele Nachrichten. Die Nachrichten wurden immer unfreundlicher, er war mit jeder Nachricht schlechter gelaunt und konnte nicht verstehen, warum ich ihn nicht zurückrief. Auch meine beste Freundin versuchte er zu erreichen. Die erzählte ihm dann auch, dass ich zelten war und mich nur deshalb nicht meldete.
Wir nahmen also den Kontakt wieder auf und im September kam er nach Saragossa, um mich zu besuchen. Wir überlegten, wie wir das zukünftig machen wollten. Nachdem ich dann nochmal in Deutschland war und er ein drittes Mal in Spanien, entschieden wir, dass wir die Beziehung fest machen wollten. Er hatte eine Stelle bei Daimler in Sindelfingen. Also packte ich meine Sachen und ging mit ihm.
»Ich sagte mir, dass ich mir ein Jahr geben würde, um zurechtzukommen.«
erzählmal.: Wie war es, in einem fremden Land neu anzufangen?
Maria: Ich fing von Null an in Deutschland, konnte die Sprache nicht und hatte keine Freunde. Die ersten paar Monate waren sehr schwierig, ich habe natürlich auch viel geweint. Auch mein Mann kannte niemanden, weil er eigentlich aus Freiburg kommt. Für unsere Beziehung war das fairer, weil er so auch neu anfangen musste. Ich sagte mir, dass ich mir ein Jahr geben würde, um zurechtzukommen und erst nach dem Jahr entscheiden würde, ob ich dauerhaft bleiben wollte. Ich studierte damals soziale Arbeit und konnte mein Praktikum auch im Ausland machen. Die Uni Mannheim betreute mich und das Praktikum durfte ich zum Glück in Stuttgart machen, in der Nähe meines Mannes, damals noch Freundes. Das ging ein halbes Jahr. Danach bekam ich eine Stelle beim Jugendamt in Stuttgart. Dort habe ich fünf Jahre lang gearbeitet, bis ich schwanger wurde mit unserem ersten Sohn.
Da dachte ich nur: »WOW! Das ist er, der Mann für mich!«
erzählmal.: Wie hat deine Familie auf deinen Entschluss reagiert, Spanien zu verlassen?
Maria: Meine Familie hat eigentlich ganz gut reagiert. Als ich Spanien verließ, war ich aber auch schon 26 Jahre alt und kein Kind mehr. Die waren nur überrascht, dass er kein Spanier war – »Gibt es in Spanien nicht genug Männer?!«. Ich antwortete nur: »So ist das mit der Liebe.« Mein Vater ist Hauptkommissar bei der Polizei und hat uns Töchter immer sehr genau überwacht, was die Männer angeht. Über unsere Freunde wollte er immer alles wissen. Wo er herkommt, was die Eltern machen… Bei meinem Mann fing er auch so an, ich habe ihn dann aber zurechtgewiesen [lacht]. Da er Deutscher war, hätte er sicher sowieso nichts gefunden.
erzählmal.: Warst du vorher schonmal in Deutschland oder war dir die Kultur komplett fremd?
Maria: In Deutschland war ich auch schon, bevor ich meinen Mann kennenlernte. Ich habe ein Interrail gemacht und war unter anderem in Freiburg. Man sagt, dass man, wenn man in Freiburg die Füße ins Wasser hängt, einen Mann aus Freiburg heiraten wird. Als Sven mir später dann erzählte, dass er Freiburger war, dachte ich nur: »WOW! Das ist er, der Mann für mich!« [lacht]
»Nach dem Essen waren alle ein bisschen besoffen und dann war alles super gut.«
erzählmal.: Habt ihr in Deutschland geheiratet?
Maria: Wir haben in Calw geheiratet. Für die Hochzeit ist die ganze Familie aus Spanien angereist. Die fanden das zwar schön, aber schon etwas anders als in Spanien. Beide Familienseiten konnten sich gegenseitig ja nicht verstehen. Nach dem Essen allerdings waren alle ein bisschen besoffen und dann war alles super gut – ich weiß nicht wie, aber sie konnten sich plötzlich alle unterhalten. Dann haben alle gelacht und getanzt – Olé, Olé, Olé – und dann war alles okay. Ich denke, wir haben beide tolle Familien. Hätten wir die Unterstützung unserer Familien nicht gehabt, wäre sicher alles schwieriger gewesen.
erzählmal.: Gibt es deutsche Gewohnheiten, die dir merkwürdig vorkamen?
Maria: Es kam mir komisch vor, wenn ich morgens um sieben Uhr aufstand und es noch dunkel war und ich kleine Kinder sah, die alleine in der Dunkelheit zur Schule liefen. In Spanien laufen Kinder nicht alleine und vor allem nicht bei Dunkelheit auf der Straße herum. Mein Mann klärte mich schnell auf, dass das normal sei und auch er alleine zur Schule gelaufen war. »Ohje, was!? Du armes Kind!«, sagte ich immer wieder und habe auch anfangs versucht, meine eigenen Kinder zur Schule zu begleiten. Irgendwann haben sie sich natürlich gewehrt und wollten auch alleine laufen, wie die anderen Kinder: »Mama, ich bin schon groß! Ich kann das alleine.« [lacht]
Sie sind tolle Jungs und deshalb bin ich als Mutter auch besonders vorsichtig was die Mädchen angeht. Meine Jungs scheinen sehr beliebt zu sein und wenn dann schon wieder ein Mädchen vorbeikommt und klingelt –»Hallooo, ist der Yannick da?« – sage ich auch schon mal »Nein.« [lacht]. Nein Quatsch, das habe ich nur ein Mal gemacht und mein Sohn kam natürlich direkt von oben runter und hat mich geschimpft.
»Es war furchtbar für mich, dass ich immer Hilfe gebraucht habe.«
erzählmal.: Bist du glücklich mit deinen Entscheidungen? Auch darüber, dass die Kinder in Deutschland aufwachsen?
Maria: Die Kinder haben besonders im Winter immer Mal wieder Phasen, in denen sie am liebsten nach Spanien ziehen würden. Aber das liegt natürlich daran, dass wir in Spanien Urlaub machen und sie nur Freizeit und Spaß haben. Hier in Deutschland müssen sie arbeiten, aber das wäre in Spanien ja auch nicht anders, das wollen sie nur nicht verstehen.
Ich bin wirklich glücklich damit, wie alles gelaufen ist, und würde auch nichts anders machen. Mittlerweile fühle ich mich hier sehr wohl und sehr zuhause. Die Sprache war die größte und einzige Barriere. Es war furchtbar für mich, dass ich zu Beginn immer Hilfe gebraucht habe. Ich konnte nicht alleine zum Arzt gehen und brauchte immer Begleitung, wenn ich etwas erledigen musste. Mit den Leuten und der Kultur kam ich von Anfang an zurecht. Ich werde auch noch auf unbestimmte Zeit weiter beim Fachsprachenzentrum arbeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass es mich irgendwann wieder ans Jugendamt zieht. Die Arbeit hat mir immer sehr gefallen, als ich noch kinderlos war. Aber jetzt, wo ich selbst Kinder habe, hat sich meine Perspektive verändert. Es ist jetzt sicher schwieriger, die Fälle nüchtern zu betrachten und nicht zu emotional zu werden.