
»Meine Rolle als Mama zu finden war für mich ein großes Ding.«
- 0 COMMENT
- 08/02/2018
- 4122 Views
- By : erzählmal.
Maria Tabea Föttinger ist 25, fleißige Studentin und hat mit 24 ihre kleine Tochter Carolina zur Welt gebracht. Sie und ihr ein Jahr jüngerer Verlobter haben sich bewusst dafür entschieden, jung Eltern zu werden.
erzählmal.: Bist du eher der spontane Mensch oder brauchst du was zum Festhalten?
Maria: Ich brauche auf jeden Fall beides. In persönlichen Beziehungen brauche ich schon sehr viel Festigkeit, ich bin ein Familienmensch, habe viel Kontakt zu meinen Eltern und Geschwistern und finde auch meine neu gegründete Familie sehr wichtig. Da soll die Basis gut sein, damit wir viel miteinander reden und Zeit miteinander verbringen. Was Lebenspläne betrifft, bin ich dagegen spontaner, ich habe zwar Träume und Visionen, aber mein konkreter Plan reicht meistens für zwei Monate – und zurzeit oft nur bis zum nächsten Abend. Man sollte sich so eine Offenheit behalten, für das, was kommt. Ich kann mich ganz schnell für Sachen begeistern.
erzählmal.: Was sind das für Träume?
Maria: Beruflich habe ich das Ziel, auf eigenen Beinen zu stehen und mich vielleicht eines Tages selbstständig zu machen. Auch privat gesehen bin ich eher bodenständig: ich wünsche mir ein großes Haus auf dem Land mit großem Garten und einer zufriedenen Familie, viel Zeit, um mit Menschen zusammen sein zu können und einfach nur da zu sein, Zeit zu haben und zu gucken was dabei herauskommt. Auch kreativ zu sein finde ich sehr schön.
erzählmal.: Seit April 2017 bist du Mama und Studentin gleichzeitig. Neigt sich das Studium denn langsam dem Ende?
Maria: Ich stehe jetzt kurz vor meinem Bachelorabschluss. Ich studiere im siebten Semester Rhetorik und Erziehungswissenschaften. Seit zwei Wochen bin ich wieder zurück an der Uni und arbeite weiter an meiner Bachelorarbeit und an ein paar anderen Überbleibseln.
erzählmal.: Ist dein Verlobter auch Student?
Maria: Ja, er studiert Forstwirtschaft in Rottenburg und möchte später klassischer Revierförster werden. Ich freue mich schon darauf, wenn er Carolina ganz viel über den Wald erzählen kann. Wir sind fast jeden Tag zusammen draußen.
»Diese ganzen Bestrebungen, die viele Leute in unserer Gesellschaft haben, werden irgendwann vielleicht nicht mehr so wichtig sein.«
erzählmal.: Woher kommt es, dass du so ein Familienmensch bist?
Maria: Ich komme aus einer sehr großen Familie: Ich habe neun Geschwister, das heißt wir sind zu zehnt alle zusammen bei meinen Eltern im Schwarzwald aufgewachsen – in einem sehr großen Haus mit großem Garten und Schwimmteich. Ich war kaum allein und mag es sehr gern, Leute um mich zu haben, mit denen man reden kann und für die man da ist. Ich wünsche mir nicht so viele Kinder, aber ich möchte ein gutes soziales, persönliches Netzwerk haben. Diese ganzen Bestrebungen, die viele Leute in unserer Gesellschaft haben, zum Beispiel sich selbst zu profilieren, Anerkennung zu haben, sich materielle Werte anzuschaffen, die werden irgendwann vielleicht nicht mehr so wichtig sein. Ich wünsche mir sehr, dass ich später gute Beziehungen haben werde.
erzählmal.: Das heißt, dass du dich in deiner Familie selbst verwirklichen willst?
Maria: Ja, aber nicht nur, auch beruflich. Meine Mama ist studierte Diplomtheologin und hat neben der Familie als Lehrerin gearbeitet, sich politisch engagiert und war Mitglied im Kirchengemeinderat. Sie hat also sehr viel gemacht, aber sich dennoch bewusst für die Familie entschieden, die stand immer an erster Stelle. Wir Kinder waren ein absoluter Fulltimejob. Ich würde mir im Vergleich dazu mehr Ausgleich zwischen Beruflichem und Privatem, also Familiärem wünschen.
erzählmal.: Jetzt hast du mit 24 schon dein erstes Kind zur Welt gebracht. Wie viele Kinder möchtest du haben?
Maria: Ich wünsche mir mindestens zwei, höchstens vier Kinder.
erzählmal.: Wie war das für dich, in die Rolle der Mama zu schlüpfen?
Maria: Das war für mich schon ein großes Ding, muss ich sagen. Das hat auch einige Wochen oder Monate gedauert, bis ich wirklich fest stand. Manchmal hadere ich auch jetzt noch mit mir und weiß nicht genau, was meine Rolle ist. Natürlich muss man das im ganzen Leben immer wieder ausloten, aber wenn man dann plötzlich Mama ist, ist vieles anders.
»Dann kam irgendwann der Moment, da war einfach die Luft raus.«
erzählmal.: Hast du dich damit schon in der Schwangerschaft auseinandergesetzt?
Maria: Ich habe mir schon Gedanken gemacht, aber es kommt dann sowieso anders als man denkt. Ich wollte mir bewusst keine konkreten Gedanken machen oder konkrete Erwartungen haben und war dann auch recht offen. Ich hatte eine sehr schöne Schwangerschaft: sehr leicht, unbeschwert, komplikationslos, und so war auch die Geburt. Danach war ich auch schnell wieder sehr fit. Ich glaube, das war so ein bisschen das Unglück im Glück, weil ich dann dachte: „Wow, mir geht’s ja voll gut, funktioniert ja alles so wie vorher!“ Wir hatten ganz, ganz viel Besuch – von Geburt an die ersten drei Wochen jeden Tag. Das war sehr schön, weil ich die Leute sehen und mein Baby mit ihnen teilen wollte. Aber dann kam irgendwann der Moment, da war einfach die Luft raus. Wir waren nächtelang immer wieder wach und da wurde mir klar, dass es so nicht geht. Ich wusste zwar, dass ein Kind nicht nebenher funktioniert, aber weil ich am Anfang noch so viel Energie hatte, dachte ich, dass ich vieles vereinen kann.
erzählmal.: Was war dann der größte Druck für dich?
Maria: Eigentlich hatte ich sehr fremdbestimmte Gedanken: Ich MUSS das schaffen, so habe ich mir das vorgenommen. Ich dachte zum Beispiel, dass ich nur ein Semester länger brauche. Aber wer sagt mir schon, dass ich das muss? Sich von so einem Druck freizumachen ist echt eine Herausforderung, gerade, wenn er von einem selbst kommt. Und natürlich zusätzlich meine neue Rolle zu finden, das war schon auch schwierig. Man möchte ja eine gute Mama sein, eine gute Tochter, eine gute Schwiegertochter … Die Schwiegermamas und Mamas haben ja viel Erfahrung und wollen einem gute Tipps geben, aber in sich selbst hineinzuhorchen und sein eigenes Ding zu machen, das ist schon eine Kunst.
erzählmal.: Hast du denn schon eine Antwort gefunden, was eine gute Mama ausmacht?
Maria: Ich denke, man sollte sich auf jeden Fall Freiräume schaffen. Man darf auch an sich selbst denken, denn wenn es einem nicht gut geht, kann man auch keine gute Mama sein. Aber was ich ganz wichtig finde, ist nicht in eine Opferrolle zu verfallen. Das erlebe ich öfter bei anderen Müttern, dass sie ihrem Kind die Schuld geben, warum sie nicht mehr aus dem Haus kommen, warum ihr Körper zerstört ist, warum sie nicht mehr an ihrer Karriere schrauben können und so weiter. Sie vergessen, dass sie selbst trotzdem noch ganz viel machen können. Diese Fremdbestimmung, die gerade in der ersten Zeit nach der Geburt auf einen zukommt, kann sich verhaften, wenn man sich nicht bewusst macht, dass das nur eine vorübergehende Zeit ist. Ich glaube, eine gute Mama bleibt trotzdem auf eine Art und Weise selbstbestimmt und weiß, was sie will. Und ich denke, für die Kinder ist es gar nicht so gut, wenn man nur noch die Mama ist und nur noch für die Kinder lebt.
»Wenn dann so ein neues Wesen auf die Welt schneit und dich mit seinen großen Augen anschaut, fordert es deine Präsenz ein.«
erzählmal.: Wie hast du die Fremdbestimmung durch Carolina wahrgenommen?
Maria: Bevor mein Kind auf die Welt kam, habe ich mich sehr darüber identifiziert, was ich kann, wo ich hinwill, wohin meine Karriere geht, wie ich aussehe, wie ich mich kleide … ganz viele Fragen also, die glaube ich für viele sehr wichtig sind, dieses ganze Lifestyle-Ding eben. Wenn man in diesem Trott drin ist kann man damit glücklich sein, aber wenn dann so ein neues Wesen auf die Welt schneit, das plötzlich komplett präsent ist und dich mit seinen großen Augen anschaut, die dich aufsaugen, dann fordert es deine Präsenz ein. Ich habe gemerkt, dass ich mein Seelenleben in der Zeit davor vernachlässigt hatte. Mit einem Kind kann man nicht die ganze Zeit vor dem Smartphone sitzen und von einem Termin zum nächsten hetzen. Wenn man lernt, dass man sich als Eltern bewusst Zeit nehmen muss, um einfach nur DA zu sein. Dann kann man viel daraus gewinnen. Das ist echt schön.
erzählmal.: Ein Kind ist aber sehr einnehmend, es fordert deine Präsenz schließlich ständig ein. Wie kam es, dass du gerade in einer Zeit, in der du dich auf jemand anderen konzentrieren musst, gleichzeitig so viel an dir selbst wiederentdeckt hast?
Maria: Klar, man steckt viel zurück. Ich glaube aber, dass die eigene Seele gerade solche Zeiten genießt, in der sie mit anderen Seelen zusammen ist. Ein Baby zu haben ist ein bisschen wie frisch verliebt sein, die ganze Welt ist offen und man öffnet sich so richtig für alles Neue. Das ist eine riesengroße Chance, sich aus seinem ich-zentrierten Denken wie „ich muss gut sein, ich muss voran kommen“ herauszubewegen. Nur zu geben ohne zu erwarten, dass du etwas zurückbekommst. Auf eine gewisse Art und Weise ist das eine Befreiung. So ein Kind ist total sensibel. Ich habe den Eindruck, Carolinas Fühler sind noch gar nicht abgestumpft. Das hat auch mich sensibler gemacht.
erzählmal.: Es gibt ja Leute in deinem Alter, die wollen die Welt bereisen, machen viele Praktika und freuen sich montags auf nichts mehr als die Party am Freitag. Vielleicht würde so jemand denken, du hast dir die Zukunft verbaut, wenn du schon mit 24 Mama geworden bist. Was würdest du entgegnen?
Maria: Ich finde es schwierig, wenn jemand so etwas zu mir sagt. Das ist ja eine Bewertung, ohne mich zu kennen. Ich habe solche Situationen schon erlebt, aber dazu sage ich meistens nicht so viel, weil ich glaube, das lohnt sich nicht. Vielleicht könnte ich fragen, warum sie so denken. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen und für viele gehört es halt dazu, die Welt zu bereisen und sich auszuprobieren, möglichst viel Spaß zu haben. Ich kann es verstehen, wenn es Menschen wegzieht, vielleicht weil ihr Leben ihnen in dem Moment nicht das gibt, was sie sich wünschen.
»Man unterschätzt gerne, was sich in ein paar Jahren alles verwirklichen lässt und gleichzeitig überschätzt man, was in kurzer Zeit geht.«
erzählmal.: Hast du genug von der Welt gesehen und willst jetzt erstmal deine Familie haben?
Maria: Ich will noch ganz viel sehen, aber das kann ich ja immer noch. Das ist etwas, was ich ganz arg schade finde: Viele Menschen denken, wenn sie ein Kind bekommen, dann ist das Leben vorbei, dann sind alle Chancen verbaut, dann ist die Karriere verbaut und man kann nicht mehr reisen. Aber wenn man etwas wirklich will, kann man es doch trotzdem machen – nur vielleicht nicht gleich. Ich bin kein Mensch, der alles sofort haben muss. Man unterschätzt gerne, was sich in ein paar Jahren alles verwirklichen lässt und gleichzeitig überschätzt man, was in kurzer Zeit geht. Außerdem finde ich, dass es im alltäglichen Leben sehr viel zu entdecken gibt. Man kann so viel von anderen Menschen lernen, gerade auch von einem kleinen Kind. Man muss nur die Augen aufmachen.
erzählmal.: Was ist der Vorteil daran, jung Eltern zu werden?
Maria: Ich glaube, man kann mehr wegstecken. Und man ist vom Alter her näher an den Kindern dran. Für mich persönlich war immer klar, dass ich nicht so lange warten will. Man hört ja auch oft, dass Frauen mit Mitte dreißig Kinder wollen und es dann nicht mehr klappt. Das wäre für mich schlimm gewesen.
erzählmal.: Im Umgang mit deinen Freunden dreht sich vermutlich viel um dein Kind. Bist du jetzt nur noch die Maria mit dem Baby?
Maria: Gerade Leute, mit denen ich nicht so viel zu tun habe, sprechen mich sehr schnell auf das Baby an. Aber das ist vermutlich ein guter Aufhänger, um ins Gespräch zu kommen und das finde ich auch schön. Mit Menschen, die mir nahe stehen, wollte ich am Anfang selbst ständig darüber reden, weil es mich ja beschäftigt hat. Inzwischen sage ich auch manchmal, dass ich gerne über etwas anderes sprechen möchte. Ich finde es aber total spannend, dass es wirklich ganz, ganz viele junge Frauen in ungefähr meinem Alter gibt, die das Thema Baby sehr interessant finden. Viele könnten es sich vorstellen, ein Kind zu bekommen, und trauen sich nur nicht. Das finde ich schade, weil ihnen Hürden im Weg stehen, die eigentlich keine sind oder die sich in fünf oder zehn Jahren nicht auflösen werden. Mir fällt auch auf, wie sehr sich junge Frauen bei der Familienplanung an ihren Müttern orientieren. Meine Mama hat ihr erstes Kind mit 22 bekommen.
»Manche Leute hatten Vorurteile gegenüber unserer Familie, dass wir fundamentale Christen seien oder dass meine Eltern nicht verhüten könnten.«
erzählmal.: Wie war es für dich, mit neun Geschwistern aufzuwachsen?
Maria: Das war sehr schön. Ich bin die drittjüngste, wir sind sechs Mädels und vier Jungs. Wir mussten natürlich viel teilen – auch die Aufmerksamkeit unserer Eltern für jedes Kind war weniger. Aber man hatte ja große Geschwister, die dann für einen da sein können, egal ob zum Spielen, zum Lernen oder um sich über wichtige Dinge auszutauschen. Und meine Mama war wirklich sehr viel für uns da. Manche Leute hatten Vorurteile gegenüber unserer Familie, dass wir fundamentale Christen seien oder dass meine Eltern nicht verhüten könnten. Dass meine Eltern diesen Weg wirklich bewusst gewählt haben und trotzdem keine Freaks sind, konnten sich viele nicht vorstellen. Ich habe zu all meinen Geschwistern ein gutes Verhältnis, auch wenn mein ältester Bruder gefühlt mehr ein Onkel ist. Meine fünf Schwestern sind neben meinen anderen Mädels meine besten Freundinnen.
erzählmal.: Inzwischen ist Carolina neun Monate alt. Wie ist das Studium mit Kind?
Maria: Anstrengend. Der Studiengang Rhetorik lässt einem viel Flexibilität, das ist super, aber durch diese chronische Übermüdung läuft das Gehirn wirklich auf Halbmast. Früher konnte ich Texte schnell durchlesen und die wichtigsten Punkte erfassen. Jetzt muss ich tausend Mal nachlesen und blicke immer noch nicht richtig durch. Meine Energie ist einfach nicht im Gehirn, die kommt woanders an.
erzählmal.: Vermutlich bist du auch nicht mehr so im Thema eingearbeitet.
Maria: Genau. Früher fand ich es allerdings immer nervig, Texte zu lesen. Jetzt genieße ich es richtig, mich mal in solche Themen reinzudenken. Mama und Studentin gleichzeitig zu sein ist aber auf jeden Fall anstrengend, man muss es schon wollen. Ein Tipp für alle Mamas im Studium: Setzt den Fokus auf das, was gerade wichtig ist! Dann dürfen sich auch mal die Wäscheberge türmen. Das muss man lernen, ich war da früher sehr perfektionistisch.
»Die Männer stecken in der Krise.«
erzählmal.: Findest du, dass an Frauen zu viele Erwartungen gestellt werden?
Maria: Das hat mich in letzter Zeit viel beschäftigt. Inzwischen denke ich, dass es nicht so wichtig ist, alles zu erfüllen. Seit der Emanzipation der Frau sind wir ja nicht nur Familienmanager, sondern wir managen auch unsere Karriere. Gleichzeitig fallen die Aufgaben einer Mutter nicht weg. Und dann soll man noch gut aussehen, schlank sein, eine tolle Liebhaberin sein, den Haushalt gut machen, ein gutes Studium abschließen und seine Karriere voranbringen. Aber es hat ja alles Zeit, es muss ja nicht alles auf einmal kommen. Mir ist aufgefallen, dass wir Frauen uns in vielen Bereichen emanzipiert haben, aber die Männer nicht: Die stecken in der Krise. Mein Verlobter hat manchmal mit seinem Umfeld zu kämpfen, wenn er sagt, dass er Zuhause bleibt und auf Carolina aufpasst, damit ich wieder zur Uni gehen kann. Es ist in der Gesellschaft zwar angekommen, dass sich Frauen trotz Kinder weiterbilden und arbeiten wollen, aber dass der Mann sich familiär verwirklicht ist meiner Meinung nach noch nicht so präsent.
erzählmal.: Was wünscht du dir für Carolina?
Maria: Am wichtigsten ist mir, dass sie sie selbst sein darf. Sie soll sich von uns angenommen fühlen, egal, wie sie wird, was sie mal macht und was sie für Neigungen haben wird. Sie soll lernen, anderen Menschen offen zu begegnen und sich nicht für etwas Besseres zu halten. Ich hoffe, dass sie Freunde findet, die wirkliche Freunde sind. Und ich wünsche mir natürlich für sie, dass wir als Familie bestehen. Das wünsche ich mir ganz arg.
Das Interview fand am 14. Dezember 2017 statt.