
»Das Wichtigste im Leben ist, keine Angst vor Entscheidungen zu haben.«
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- 05/03/2018
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- By : erzählmal.
20 Jahre lang war Susanne Pape-Kramer, kurz Susi (52) eine Ikone am Tübinger Institut für Sportwissenschaft (IfS). Mit ihrer unbändigen Energie hat sie die Studierenden für Tanz begeistert. Nun ist sie Athletiktrainerin der Walter Tigers und selbstständig mit „Freistil“. Außerdem hat sie die erste inklusive Cheerleader-Gruppe Deutschlands trainiert: Die Blue Poisons. erzählmal. spricht mit ihr über ihren Lebensweg voller schöner und auch trauriger Geschichten.
erzählmal.: Als du dein Studium begonnen hast, konntest du nicht wissen, dass du einmal sehr viele Jahre am IfS verbringen wirst. War denn von Anfang an klar, dass du Sportpädagogik studieren willst?
Susi: Das stand lange nicht fest, denn meine Entscheidungsfindung für das richtige Studienfach lief nicht so glatt: Zuerst hatte ich mich für Sportwissenschaft interessiert, dann für Tanzpädagogik. Teil der Aufnahmeprüfung war allerdings, dass man Klavier spielen konnte – ich hatte also keine Chance. Zur Berufstänzerin hat’s nicht gereicht. Dafür wirke ich mit meiner körperlichen Verfassung und Anatomie einfach zu burschikos. Aber ich glaube, ich hätte das auch nicht machen wollen. Dann hätte ich auf ein Internat gehen müssen und das kam damals nicht in Frage für mich. Ich habe mich dann für Sportwissenschaft und Französisch auf Lehramt an der Uni Tübingen entschieden, allerdings nach zwei Semestern abgebrochen. Französisch war nichts für mich. Zu diesem Zeitpunkt gab es damals ganz neu den Diplomstudiengang Sportpädagogik. Das habe ich dann studiert. Jetzt bin ich sehr froh darüber, denn mit Tanzpädagogik hätte ich mich für eine sehr spezielle Richtung entschieden.
erzählmal.: Muss man als professionelle Tänzerin besondere Maße haben?
Susi: Wenn man ans Internat als professionelle Tänzerin will, braucht man eine ganz bestimmte Oberschenkelknochenlänge, Gelenkstellung in der Hüfte und so weiter. Ich wurde als Kind schon ein bisschen aussortiert und musste immer die Jungs-Rollen spielen in den Aufführungen.
erzählmal.: Wie war das für dich?
Susi: Das war okay! Ich habe generell im Ballett eher die männlichen Dinge gemocht, die man im Unterricht macht. Ich habe Sprünge geliebt und bin für eine Frau auch einfach gut gesprungen.
erzählmal.: Nach deinem Studium wurdest du als Lehrkraft angestellt. Eine umkämpfte Stelle?
Susi: Im Tanz war es immer schwierig Lehrkräfte zu finden. Sportler sind eigentlich keine Tänzer, denn Tanz ist ja Kunst. Das sind so zwei Richtungen, die sich im Sportstudium plötzlich treffen und die nur eine kleine Schnittmenge haben. Ich kannte beide Seiten: Ich habe Handball gespielt und Ballett getanzt. Das war meine Kombination. Schon während dem Studium war ich als Honorarkraft in der Ausbildung tätig. Nachdem meine beiden Kinder zur Welt kamen wurde dann zufällig die Stelle als Dozentin frei. Dass ich den Job bekommen habe war keine Kunst, denn es gab nun mal nicht viel Konkurrenz.
»Wenn du dich zu Musik bewegst, bist du authentisch. Es sieht immer genau nach DIR aus, weil DU die Bewegungen machst – egal wie perfekt du versuchst, jemanden zu kopieren.«
erzählmal.: Als Dozentin hast du auch Lehrbücher geschrieben. Was machen deine theoretischen Arbeiten aus?
Susi: Ich habe versucht, die Schnittmenge zwischen Sport und Tanz zu finden. Das erste Buch, das ich geschrieben habe, heißt Crossover-Sport. Da beschreibe ich lauter Sportarten, die rhythmische, tänzerische und gestalterische Elemente mit Sportelementen verbinden. Zum Beispiel haben wir an der Uni Klettern gemacht, das mit Musik funktioniert: Da hängt man an der Boulder-Wand, es läuft Musik und man macht synchron Bewegungen an der Wand, zum Beispiel Drehbewegungen oder Räder. Da haben wir sehr viel experimentiert.
erzählmal.: Worum ging es in deinen übrigen Publikationen?
Susi: Immer wieder kam eine neue Trendsportart auf, die ich interessant fand. Die wollte ich dann fördern, damit sie in der Ausbildung Fuß fasst. Parcouring war zum Beispiel lange ein Steckenpferd von mir. Da läuft man draußen durch die Landschaft und muss Hürden überwinden, ganz ohne den Weg abzukürzen oder Umwege zu gehen. Ich habe die Studierenden ermutigt, Gruppen zu bilden, Fortbildungen zu machen und AGs an Schulen zu leiten. Ich glaube, das ist eine Sportart, die zukunftsweisend ist. Darüber habe ich viele Artikel geschrieben.
erzählmal.: Wie war deine Herangehensweise im Tanzunterricht mit den Studierenden?
Susi: Mir war klar, dass die meisten Leute, die kommen, keinen Plan von Tanz haben. Entweder hatten sie schlechte Erfahrungen in Tanzstunden oder in der rhythmischen Sportgymnastik gemacht oder sie hatten einfach generell keinen Zugang zum Tanzen. Eine der methodischen Grundsätze, die man überall lernt, ist, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Man darf ihnen nicht irgendetwas überstülpen wollen. Das war mein Zugang.
erzählmal.: Wie hast du das umgesetzt?
Susi: Ich wusste ja, dass sie alles können. Die meisten Bewegungsformen können die Studierenden ja durch den Sport. Es ging also nur darum, das rhythmisch einzubinden. Genau so habe ich angefangen: Ich habe versucht eine gute Musik zu finden, die den Studierenden gefällt. Dann haben wir auf den Rhythmus Defence-Bewegungen aus dem Basketball oder Sprünge aus dem Handball gemacht. Das war ein ganz natürlicher Zugang, weil die Studierenden gesehen haben, dass da nicht viel dahinter ist. Die ersten Stunden hatten für viele so einen Aha-Effekt. Der Mensch hat nur zwei Arme und zwei Beine, so viel Unterschiedliches kann der gar nicht machen. Tanzstile entstehen ja nur durch eine bestimmte Körpertechnik. Beim Hiphop läuft man auch rückwärts oder seitwärts – meistens macht der Oberkörper den Unterschied, die Beine ändern sich nicht so sehr. Das habe ich versucht, zu vermitteln.
»Da gab es unglaublich viele Tränen und unglaublich viele positive Erlebnisse.«
erzählmal.: Wie war die Rückmeldung der Studierenden?
Susi: Ich habe sehr viel positive Rückmeldung bekommen und ganz viele Studierende sind auch beim Tanzen geblieben. Vor allem sehr, sehr viele Männer haben betont, wie gut es ihnen gefällt. Nur sehr wenige waren negativ. Da muss ich sagen, dass mir diese Menschen sehr im Kopf geblieben sind, die noch nach zwei Semestern gesagt haben, dass ihnen Tanzen keinen Spaß macht. Das fand ich sehr schade.
erzählmal.: Hat dich das frustriert?
Susi: Nein. Es kann sein, dass es an mir lag, weil ich eine ganz offene Art beim Tanzen habe. Manchen ist das vielleicht zu viel, die nerve ich vermutlich. Wenn sie zu mir gesagt haben, dass ihnen das Tanzen keinen Spaß macht, musste ich versuchen, das zu abstrahieren. Entweder lag es an mir oder sie konnten mit dem Rhythmus tatsächlich nichts anfangen. Dann ist das auch okay. Tanzen muss nicht für alle sein. Das waren aber wie gesagt nur sehr wenige Menschen und deswegen bin ich auch so lange an der Uni geblieben. Ich habe sehr viel mit meinen Studis auf die Beine gestellt und hatte immer das Gefühl, das es einfach sinnvoll ist.
erzählmal.: Gibt es eine konkrete Geschichte, an die du gerne zurückdenkst?
Susi: Es gibt wahnsinnig viele positive Geschichten – ganz, ganz viele. Ich habe zwei Schubladen voll mit Briefen, Postkarten, Filmen, Feedbacks, Geschenkkästchen… Sehr berührend war oft, was dann in der praktischen Tanzprüfung heraus kam. Ich habe die Studis immer ermutigt, sie selbst zu bleiben, ihre Geschichte zu zeigen und sich nicht für die Note zu verbiegen. Man kann ja zwei Geschichten erzählen: Man kann im Technischen, Abstrakten bleiben und einfach Schritte tanzen. Oder man kann eine Storyline haben, einen roten Faden. Es gab Menschen – ich kann es nicht beschreiben, die haben irgendwie ihr Ding durchgezogen, sind authentisch geblieben und gleichzeitig wurden sie sehr persönlich. Da gab es unglaublich viele Tränen und unglaublich viele positive Erlebnisse. Eine Studentin hat den Tod ihrer Cousine performt. Eine andere hat den Abschied von ihrem Freund getanzt. Ganz viele Jungs haben das Thema Freundschaft performt und die Nähe und Distanz von Menschen beschrieben. Oft war es auch eine Einsamkeit, die sie gezeigt haben. Da gab es viele emotionale Geschichten. Ich wollte von niemandem, dass er mir die Geschichte erzählt, aber wenn es so war, war es natürlich toll. Es gab auch genauso viele, die in ihrem Ding geblieben sind und dadurch authentisch waren. Genau das war das Schöne daran.
»In meinem ganzen Leben kam alles direkt nacheinander, und zwischendrin habe ich noch Kinder bekommen.«
erzählmal.: Warum hat Tanzen so viel mit Gefühlen zu tun?
Susi: Es gibt einen berühmten Spruch, ich weiß nicht mehr von wem, aber es muss ein Choreograf gewesen sein: Der Tänzer lügt nicht. Wenn du dich zu Musik bewegst, bist du authentisch. Es sieht immer genau nach DIR aus, weil DU die Bewegungen machst – egal wie perfekt du versuchst, jemanden zu kopieren. Das habe ich auch zu den Jungs und Mädels gesagt: Ihr lernt bei mir Bewegungen, ihr bekommt viel Input, aber am Ende zeigt IHR die Bewegungen. Wenn ihr merkt, die Bewegung fühlt sich nicht gut an, „das ist nicht meins“, dann lasst es. Macht es nicht, weil ihr denkt, die Susi will das sehen, weil es im Prüfungskanon ist.
erzählmal.: Nach den Prüfungen habt ihr immer einen Tanzabend organisiert. War das deine Idee?
Susi: Die Tanzabende gab es schon, ich habe das eigentlich nur weitergeführt. Aber mit meinem Ehrgeiz habe ich die Veranstaltung natürlich ein bisschen „aufgepimpt“.
erzählmal.: Wie sah so ein Tanzabend aus?
Susi: Wir haben Theaterboden in der Sporthalle ausgelegt und einen schwarzen Bühnenvorhang hinten an der Fläche aufgestellt, sodass es eben wirkte wie ein kleines Theater. Alle Gruppen und alle Einzeltänzer, die Lust hatten, haben ihre Prüfungschoreografien noch einmal dem Publikum gezeigt. Das ist dann eine richtige Welle geworden, alle wollten performen, was ich ganz toll fand. Am Ende ist das Haus aus allen Nähten geplatzt. Wir mussten die Zuschauer abzählen, weil sie uns die Bude eingerannt haben. In den letzten zehn Jahren hat sich das in Tübingen so herumgesprochen, dass es ein echtes Event wurde. Da waren zig Meter Schlange vor dem Einlass! Es war unglaublich, ein riesen Hype.
erzählmal.: Was hat dich dann dazu bewegt, deine Zeit als Dozentin zu beenden? Hast du gesagt, jetzt ist der Höhepunkt erreicht, jetzt gehe ich?
Susi: Genau das. Die letzten Jahre waren brutal intensiv. Zum deutschen Turnfest in Frankfurt haben wir spontan eine Tanzgruppe gebildet und wollten einfach mal gucken, was wir dort reißen können. Da war dann die „Schleudergang“ geboren. Wir hatten schnell einen guten Ruf und bekamen viele Auftritte in Tübingen und Umgebung. Diese letzte Zeit war einfach der Wahnsinn. Irgendwie hatte ich das Gefühl, mehr geht nicht. Ich wollte nicht, dass ich später da sitze und denke, früher war es besser. Dann hätte ich den Absprung nicht geschafft. Zwanzig Jahre ging es immer nur aufwärts. Ich dachte, es kann so nicht mehr lange gehen. Jetzt geht’s bestimmt bald abwärts. Das Gefühl wollte ich nicht und ich wollte es schon gar nicht vor meinen Studenten. Die sind mit mir gewachsen. Manche waren ja wirklich sechs, sieben, acht Jahre dabei und tanzen jetzt immer noch in der Schleudergang. 2015 war dann ein gutes Jahr, da waren es genau 20 Jahre.
erzählmal.: Hattest du schon konkrete Pläne für die folgende Zeit?
Susi: Eigentlich wollte ich nichts machen – aber das hat nicht so gut geklappt. In meinem ganzen Leben kam alles direkt nacheinander, und zwischendrin habe ich noch Kinder bekommen. Währenddessen war aber natürlich viel, was so im normalen Leben passiert: Mein Sohn war sehr krank, die Beziehung zu meinem Mann war zwischendurch schlecht, viele liebe Menschen in meinem Umfeld sind gestorben. Ich dachte mir, die Auszeit habe ich verdient. Jetzt machst du einfach mal nichts. Ich habe dann auch gekündigt mit dem Gefühl, ich will jetzt nichts Neues. Na ja, ich glaube ich war vielleicht eine Woche arbeitslos, dann habe ich eine ehemalige Studentin, die jetzt eine liebe Freundin ist, getroffen. Wir saßen beim Kaffee und haben herumgesponnen. Eine Woche später haben wir uns aus dem Nichts selbstständig gemacht.
erzählmal.: Und jetzt seid ihr beide „Freistil“. Was genau machst du?
Susi: Zuerst war klar, dass ich das Tanzen nicht aufgeben würde. Aber so wie ich es will: ohne Lehrplan, ohne Curriculum. Das war das Erste. Ich habe einen Aushang an der Uni gemacht, dass ich Tanzen unterrichte, und dann lief es. Bei uns im Haus ist im Keller ein schönes großes Zimmer. Da habe ich mir an einem Wochenende ein kleines Studio eingerichtet, mit Ballettstange und Spiegel. Da kann ich proben und mir meine Choreografien überlegen. Meiner Hausärztin habe ich ein paar Kärtchen von mir gegeben. Sie hat ihren Patienten mein Kärtchen weitergegeben, wenn sie dachte, sie könnten funktionelles Training gebrauchen und nicht nur Physiotherapie. So kamen dann relativ schnell viele Privatkunden in mein Studio. Da mache ich jetzt viel Krafttraining, Body Weight, funktionelles Training, Rückenschule oder auch Massagen. Manche kommen auch zum privaten Tanzunterricht, weil sie sich in der Gruppe nicht trauen. Andere wollen eine Stunde Fitnesstraining mit mir machen.
»Die Jungs sind zum Teil über zwei Meter groß und ich bin mit meinen 1,68m dann fast einen halben Meter kleiner. Vermutlich haben sie sich gefragt, was die kleine, dünne Alte da unten jetzt mit ihnen vorhat.«
erzählmal.: Und seit 2016 bist du Athletiktrainerin der Walter Tigers. Wie kamst du bei den Basketballern an?
Susi: Ich weiß, dass ich die einzige Athletiktrainerin in der Basketball-Bundesliga bin. Ich glaube am Anfang war es deshalb schon irgendwie komisch oder witzig. Die Jungs sind zum Teil über zwei Meter groß und ich bin mit meinen 1,68m dann fast einen halben Meter kleiner. Vermutlich haben sie sich gefragt, was die kleine, dünne Alte da unten jetzt mit ihnen vorhat. Sie haben sich aber nichts anmerken lassen. Natürlich hatte ich schon ein bisschen Schiss, weil ich überhaupt keine Basketballerin bin. Aber jeder Leistungssportler ist im Athletikbereich ähnlich, die Spielsportler brauchen eben Spielathletik. Dadurch, dass mein Mann, mein Sohn und meine Tochter Fußball spielen, habe ich schon sehr viel Athletiktraining mit Fußballern hinter mir. Mein Zugang zu den Basketballern war also irgendwie schon da.
erzählmal.: Wie sind die Jungs drauf?
Susi: Sie sind unglaublich höflich, sehr reduziert und still, dafür aber gute Zuhörer. Sie machen wirklich was ich sage. Das hätte ich nicht gedacht. Ich glaube, sie wissen, dass ich an der Uni war und ein fundiertes Wissen habe. Mit Frauen gehen sie sehr respektvoll um, sie halten mir zum Beispiel immer die Tür auf. Außerdem macht es einfach unglaublich Spaß. Einmal hatten die Jungs wohl eine Wette abgeschlossen über mein Gewicht. Da waren wir trainieren und als wir fertig waren, sind alle so hinter mir her gedackelt. Ich habe mich umgedreht, gefragt, was los ist, aber die Jungs haben ewig herumgedruckst. Dann hat einer vorsichtig das Wort übernommen und von der Wette erzählt. Er hat betont, dass ich ihnen mein Gewicht nicht sagen muss, wenn ich nicht will. Ich habe mich dann halt auf eine Waage dort gestellt. Irgendwo hinten in der Gruppe hat einer laut gegrölt. Er hatte die Wette wohl gewonnen. Es war echt witzig. Das ist auch das, was die Jungs auszeichnet: Sie sind einfach sehr höflich und würden zu mir als Frau niemals etwas Blödes sagen.
erzählmal.: Jetzt haben wir noch gar nicht über die Inklusions-Cheerleader-Gruppe gesprochen, die du geleitet hast.
Susi: Stimmt! Das muss ich von Anfang an erzählen. Da bin ich über eine Mail angeschrieben worden, ob ich nicht Interesse hätte. Ich hatte noch nie mit Körperbehinderten gearbeitet und hatte Lust, das mal auszuprobieren. Also hab ich mich mit der Initiatorin Asun Kramer getroffen. Das war eine ganz pfiffige Person: Saß selbst im Rollstuhl, der war aber total auffällig mit Glitzer, sie trug Highheels und hatte eine mega Aufmachung. Ich dachte: WOW, was für eine Frau! Mit ihr habe ich mich so toll unterhalten, dass ich spontan zugesagt habe. Damit sind die Blue Poisons entstanden.
»Die Mädels haben gesehen, dass ich keine Angst habe und sie nicht als körperlich Behinderte wahrnehme, sondern als Tänzer.«
erzählmal.: Wie trainiert man eine Inklusions-Cheerleader-Gruppe?
Susi: Ich habe ganz unbedarft angefangen. Zwei, drei Mädels sitzen im Rollstuhl, ein paar haben eine Behinderung, sitzen aber nicht im Rollstuhl und manche hatten gar kein Handicap. Also habe ich alle aufgestellt und weil ich wusste, dass die meisten ihre Beine nicht nutzen können, haben wir einfach die Arme trainiert. Außerdem – Pyramiden lassen sich ja super bauen! Wenn der Rollstuhl fix ist, kann man gut auf ihn klettern. Das war total witzig. Manche sind auch umgefallen oder mussten auf dem Boden liegen, weil wir den Rollstuhl gebraucht haben. Ich hab die Mädels dann zum Krafttraining an die Sprossenwand gehängt und sie dort so lange hängen lassen, bis sie gerufen haben: Susi, ich falle gleich runter! Dann habe ich sie wieder in den Rollstuhl getragen. Wir haben also total überdrehte Sachen gemacht. Die Mädels haben gesehen, dass ich keine Angst habe und sie nicht als körperlich Behinderte wahrnehme, sondern als Tänzer. Wenn sie Cheerleading machen möchten, müssen sie auch etwas für ihre Kraft tun.
erzählmal.: Hattet ihr auch Auftritte?
Susi: Wir haben uns ganz schnell nicht mehr retten können vor Auftrittsanfragen, so viele Choreos konnten wir gar nicht machen. Es lief also alles richtig gut. Dann hat mich nach einem Dreivierteljahr plötzlich die Freundin und Mitbewohnerin der Gruppen-Gründerin angerufen: Asun sei in der letzten Nacht gestorben. Einfach so, ganz überraschend. Das war ein Schock für alle. Sie war ja eigentlich der Kopf der Mannschaft, tatsächlich der Cheerleader. Sie hat alles organisiert, sich um die Auftritte gekümmert und Kostüme schneidern lassen. Wo sie war, ist sie aufgefallen – mit ihrem Glitzerrollstuhl, der geleuchtet und geblinkt hat. Sie war einfach eine richtige Powerfrau.
erzählmal.: Was ist dann aus der Gruppe geworden, wenn die Leaderin plötzlich fehlte?
Susi: Anfangs wussten wir nicht, wie es weitergehen soll. Es war aber klar, dass die Gruppe bestehen muss. Also haben wir nicht aufgehört. Ich muss sagen, die Mädels sind der Hammer. Was sie für Krankheiten haben, wie schwierig ihre Lebensumstände sind … Es ist unglaublich, wie viel Motivation sie haben und wie sie ihr Leben meistern. Da kommen immer wieder Diagnosen auf die Mädels zu, die eigentlich nicht hinnehmbar sind, aber sie machen einfach weiter. Sie sind so positiv, haben so eine „Scheißegal-Einstellung“ und machen es einfach JETZT: Jetzt wollen wir das, jetzt machen wir das. Das sind so unglaublich tolle Menschen – ich kann das gar nicht beschreiben. Ich habe viel, viel mehr von ihnen gelernt als sie von mir.
»Es ist so wichtig, dass du mutig bleibst und Dinge einfach machst.«
erzählmal.: Inzwischen trainieren zwei deiner Tanzschülerinnen die Gruppe. Warum wolltest du nicht weitermachen?
Susi: Für mich war das natürlich auch sehr anstrengend. Die Geschichten kann man nicht so schnell wegstecken. Außerdem haben wir immer samstags trainiert, sodass ich kein Wochenende mehr hatte. Ich möchte ja auch Zeit für meinen Mann haben. Sonntags unterrichte ich immer Tanzen. Das konnte ich nicht aufgeben, dafür lebe ich. Also war klar, wenn ich jemanden finde, dann gebe ich die Gruppe ab. Jetzt bin ich sozusagen nur noch Backup.
erzählmal.: Was hast du für dich aus der Zeit mit der Cheerleader-Gruppe mitgenommen?
Susi: Es war genau richtig, so unbedarft in das Training zu gehen. Das haben mir die Mädels auch gesagt. Man darf im Leben nicht immer nur vorsichtig sein und mit irgendwelchen Theorien kommen. Learning-by-doing und Do-it-yourself finde ich sehr wichtig. Bisher habe ich immer wieder gelernt, dass man Türen aufmachen muss und Dinge ausprobieren. Du kannst die Tür jederzeit zu machen und dir sagen „war nix“, aber wenn du es nicht probiert hast, kannst du es nicht wissen. Es ist so wichtig, dass du mutig bleibst und Dinge einfach machst. Das Wichtigste im Leben ist, keine Angst vor Entscheidungen zu haben. Später musst du rückblickend zu dir sagen können, dass es richtig war. Weil es eben so ist, wie es ist. Aber ich glaube, wenn du Dinge nicht zumindest probiert hast, hast du dein Leben nicht richtig gelebt. Deshalb: Mach alles! Das ist mein Fazit.